Magerscheune: Ehemaliges KZ-Außenlager in Pottenstein (Bild: Benedikt M. Ertl)
Projektbeschreibung:
Die Verbrechen der NS-Zeit spielten sich auch in Bayern nicht nur hinter dem Stacheldraht der beiden großen Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg ab. Die Gräuel fanden teils für jedermann sichtbar in unserer Mitte statt.
Heute sind der Öffentlichkeit die damalige Alltäglichkeit des Anblicks von KZ-Häftlingen, sowie deren Einsatz und Unterbringung außerhalb der großen Stammlagerareale in unmittelbarer Nachbarschaft zur Zivilbevölkerung kaum bewusst. In zahlreichen Ortschaften sind die kleineren Außenkommandos und Außenlager der bekannten Konzentrations- und Vernichtungslager, in denen Zwangsarbeit unter unvorstellbaren Bedingungen geleistet werden musste, verdrängt und vergessen. Nur selten findet man einen Gedenkstein, häufig in abgelegener Ortsrandlage. Im Bewusstsein der lokalen Bevölkerung und der Touristen ist dieses Kapitel der Ortsgeschichte damit häufig noch nicht. Forschungen, die auch knapp 80 Jahre nach der Befreiung der wenigen überlebenden Häftlinge nicht abgeschlossen sind, haben jedoch ein enormes Ausmaß des nationalsozialistischen Lagersystems ergeben: Das weitverzweigte und engmaschige Netz zur gezielten Vernichtung von Menschenleben bedeckte das gesamte Land und im Zuge des Zweiten Weltkriegs auch die besetzten Gebiete.
Die Wenigsten wissen heute zudem, wie schnell man selbst zum Verfolgten des Systems werden konnte oder es im Sinne der NS-Ideologie bereits qua Geburt war. Die erinnerungskulturelle Praxis war lange Zeit nicht nur mit Blick auf das Lagersystem gewissermaßen zentralisiert. Auch die Liste der zum Teil noch bis ins 21. Jahrhundert hinein marginalisierten und sehr heterogenen Häftlingsgruppen in KZs ist lang.
Während unseren Studierenden zu Beginn des Projekts beispielsweise der Begriff „Holocaust“ für den nationalsozialistischen Genozid an etwa 6 Millionen europäischen Juden aus dem Schulunterricht und gesellschaftlichen Debatten geläufig war, konnten die wenigsten erklären, was „Porajmos“ bedeutet und in welchem Umfang Sinti und Roma in der NS-Zeit verfolgt wurden. Damit sind nur einige von vielen weiteren unschuldig inhaftierten Menschen angesprochen, deren Leid lange nicht anerkannt wurde und durch politische Umstände oder eine andauernde Verfolgung auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vergessen zu werden drohte. Menschen aus unserer Mitte, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt, kriminalisiert, als „entartet“ diffamiert und millionenfach zu Tode gequält wurden.
Im Rahmen des Geschichtsunterrichts an bayerischen Schulen ist der Besuch von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus mit gutem Grund im Lehrplan vorgesehen. In weiterführenden Schulen Oberfrankens wird daher in der Regel die KZ-Gedenkstätte im oberpfälzischen Flossenbürg besucht, um an einem authentischen Ort zu Lernen. In dem Moment, in dem Zeitzeugen des nationalsozialistischen Terrors nicht mehr selbst von ihrem Erlebten berichten und das Geschehene jüngeren Generationen persönlich und zeitlich nah heranholen können, gewinnt der Wirklichkeitsbezug des lokalen und regionalen Nahbereichs als Raum für Lernerfahrung umso mehr an Bedeutung. Hier können wir als LandeshistorikerInnen besonders gut ansetzen. Wie weit bestimmten Diktatur, Krieg und der Ideologie das Leben im eigenen Heimatort und wie verhielt sich die lokale Bevölkerung zum KZ-Häftling von nebenan? Jenseits von Schuldzuweisungen und bei aller gebotener Demut der Nachgeborenen, bleibt die offene Auseinandersetzung damit im Sinne eines „NIE WIEDER“ eine wichtige Aufgabe. Das zeigt die bedenkliche politische Gemengelage der letzten Jahre, die die lange währende demokratische Freiheits- und Friedensordnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg in Frage stellt. Wie können wir als HistorikerInnen an Universitäten, die zukünftige LehrerInnen ausbilden, unsere gesellschaftspolitische Verantwortung innerhalb unserer diversen und multikulturellen Gesellschaft wahrnehmen und den Anfängen von Ausgrenzung, Rassismus und Radikalisierung wehren? Womit erreichen wir über unsere wissenschaftlichen Netzwerke hinaus eine breitere Öffentlichkeit? Wie können wir unsere Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass historische Bildung und ein bewusster und verantwortungsvoller Umgang mit unserem kulturellen Erbe essentiell sind als moralischer Kompass für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung?
Diese Ausgangsüberlegungen veranlassten uns dazu, eine über mehrere Semester stattfindende Lehrveranstaltung für Studierende der Geschichtswissenschaften an den Universitäten Bamberg und Bayreuth anzubieten: Auf Grundlage aktueller Forschungsergebnisse zu den ehemaligen Außenlagern Flossenbürgs in Oberfranken und marginalisierten Häftlingsgruppen, sowie dem erinnerungskulturellen Umgang mit ihnen, widmeten wir uns einer Aufbereitung des Themas für Schüler in Oberfranken. Mit eigenen Archivrecherchen, Exkursionen an die Originalschauplätze, Rezipieren von Zeitzeugeninterviews und dem klassischen Zusammentragen bisheriger Forschungsergebnisse, erarbeiteten sich angehende LehrerInnen und HistorikerInnen das Thema selbst. Gemeinsam sammelten wir Bildmaterial und formulierten Ausstellungstexte, die im Schulunterricht als Grundlage für ein Unterrichtsgespräch, die Vorbereitung einer Exkursion in die Region oder den Besuch der Gedenkstätte Flossenbürg dienen können.
Das Ergebnis ist eine kostenlos über das Institut für Fränkische Landesgeschichte der Universitäten Bamberg und Bayreuth zu erwerbende Plakatausstellung mit Begleitheft. Die 11 Plakate im DIN A2 Format, die in dieser Publikation für die schnelle Lektüre bei der Vor- und Nachbereitung der Unterrichtseinheit zusätzlich abgedruckt sind, können in der Schule aufgehängt und wie eine Ausstellung im Klassenzimmer besucht werden. Ergänzend zur gesamtdeutschen Geschichte des Nationalsozialismus in den Schulbüchern haben SchülerInnen und LehrerInnen so die Gelegenheit, sich auch über die regionalen und lokalen Verhältnisse in Oberfranken zu informieren. Über die Integration der Plakatausstellung in den Geschichtsunterricht an weiterführenden Schulen in Oberfranken ist es unser gemeinsames Ziel, einen Beitrag wider das Vergessen zu leisten.
Die Herausgeber
Verena Christina Jeschke und Benedikt Martin Ertl
Redaktion: Benedikt M. Ertl und Verena C. Jeschke